Modern Dance Reviews

Tanztheaterstück "Balady" von Zuzana Lapčíková
und Hana Litterová

Theater Reduta, Brno, Dezember 2009

Musik und Konzept: Zuzana Lapčíková
Choreographie und Regie: Hana Litterová
Text: Zuzana Lapčíková und Hana Litterová
Musiker: Zuzana Lapčíková (Zymbal und Gesang), Josef Fečo (Kontrabass), Kamil Slezák und Miloš Dvořáček (Schlagzeug), Petr Kovařík (Saxophon)
Tänzer und Tänzerinnen in den Hauptrollen: Eva Šeneklová (Juliána), Renata Poláčková (Juliánas Mutter), Ivan Příkaský (Juliánas Vater), Vlastimil Hradil (Juliánas Bruder), Markéta Habalová (Juliánas Tochter Kateřina), Jan Fousek (Kateřinas Bräutigam Jan), Nelka Lazović (Jans Geliebte)

 

Die Komponstin Zuzana Lapčíková, die auf der Bühne außerdem als Zymbalspielerin und Sängerin wirkt, äußerte in einem Gespräch bescheiden, dass sie sich in Balady um die Ausgewogenheit von Tanz und Musik bemühte. In der Tat ist es ihre Musik, die das Stück trägt. Wehmütige Melodien im Stil der mährisch-slowakischen Folklore im 4/4- und 6/8-Takt bilden das Fundament. Es ist schwer zu unterscheiden, welche Motive und welche Textfragmente überliefert sind und welche Lapčíková selbst komponierte. Die Großzügigkeit im Umgang mit Quellen aus der Volkskultur ist keine Nachlässigkeit, sondern Bestandteil eines künstlerischen Programms. Sie geschieht in der Tradition der "New Moravian Folk Music", die von Vladimír Merta, Dáša Andrtová-Voňková, Vlasta Rédl, Iva Bittová und zahlreichen weniger bekannten Künstlern getragen wird. Es handelt sich um keine "gepflegte Volksmusik", sondern um eine Weiterentwicklung mährischer ruraler Volkskultur. Zuzana Lapčíková verinnerlicht die Wesensart mährischer Folklore mit ihrer charakteristischen Stimmung und Temperament, ohne auf authentische Volksmelodien angewiesen zu sein. Ihre Texte ahmen die Volkspoetik nicht nach, sie füllen sie vielmehr mit neuen Inhalten bei gleich bleibenden Themen, authentischem Wortschatz und einer erweiterten Ausdrucksform.

Die Musik

Die Interaktion mit der Musik der Roma (Gypsy bzw. Romani Music) und dem Jazz ist für diese Entwicklung typisch. Die Beteiligung der Roma an mährischer Musikkultur hat eine lange Tradition. Die in Südmähren sesshaften Roma waren als Geiger, Klarinettisten, Zymbalisten und Kontrabassspieler seit Jahrzehnten in den lokalen Musikensembles tätig. Die Verbindung mit Jazz ist jüngeren Ursprungs, sie ist inzwischen jedoch fest etabliert. Lapčíková hat Erfahrung mit beiden. Mit dem Jazz-Pianisten Emil Viklický und mit dem Roma-Kontrabassisten und Zymbalisten Josef Fečo (in Balady spielt er lediglich Bassgeige) hat sie von nicht langer Zeit Alben publiziert, die bei der Kritik hohe Beachtung fanden. Diese Erfahrungen setzte sie auch in der Musik zu Balady um.

Die Geige ist ein zentrales Instrument südmährischer Volksmusikensembles. Lapčíková tauschte sie gegen Schlagzeug, vermutlich um die abgestumpfte Wahrnehmung der Besucher anzusprechen. Zum Glück spielt der Schlagzeuger öfter im Wechsel mit der Kapelle als zusammen mit ihr, denn die Bemühung um eine rhythmische Festigung des Sounds führt zu zweifelhaften Ergebnissen. Auch wenn der Schlagzeuger behutsam vorgeht und sich auf die Jazz-Besen beschränkt, trivialisiert er den Zymbal- und Saxophon-Sound mehr als ihn zu bereichern. Besonders ungünstig klingt das Schlagzeug in einem Instrumentalwalzer im ersten Teil, der zur Schrammelmusik verwandelt wird, und auch im kurz darauf folgenden Lied "Hyje, kone, hyje moje". Auf fremden Terrain fand der Schlagzeuger anscheinend keine Entfaltungsmöglichkeit, daher beschränkte er sich auf die Betonung der Hauptschläge, womit der Gesang von Z. Lapčíková und die von Petr Kovařík wunderbar vorgetragene Melodie mit mittelmäßiger Tanzband-Rhythmik unterlegt wird. Nur in den Intermezzi glänzt das Schlagzeug mit seinen Soli, die als Kontrast zu melancholischen Melodien wirken. In dem vom Band gespielten Lied "V pondelecku ja goralicku pijem" (Miroslav Minks und seine Horňácka Muzika) wird dieser Effekt intensiv ausgenutzt, indem nach jeder Strophe ein kurzes Schlagzeugsolo eingeschoben wird.

Zu den reizvollsten Songs des Abends gehören die von Zuzana Lapčíková a cappella vorgetragenen, z.B. "Zalet sokol, sivy ptak". Sehr langsam und gefühlvoll, aber ohne Schwermut singt sie die meist gruseligen Texte, es ist südmährische Melancholie pur. Die schönste Begegnung mährischer Volksmusik mit Jazz gelingt ihr in einem zarten Duo mit Josef Fečo, in dem der Kontrabass auf die Begleitung des Gesangs verzichtet und stattdessen improvisierte Soli in hoher Stimmlage zwischen den Strophen spielt. Die beiden Stimmen behindern sich nicht, sie provozieren auch keine gegenseitige Anpassung und behalten sich alle Freiheiten für einen entzückenden Dialog.

Das Stück schöpft aus mährischen Volkserzählungen und enthält erwartungsgemäß Elemente ostmährischer und slowakischer Volkstänze. Diese erscheinen jedoch nicht durchgehend und sind bis auf die Hochzeitsfeier nicht dominant. Neben dem Volkstanz schöpft das Bewegungsrepertoire überwiegend aus dem Ballett, allerdings werden diese Elemente abgeschwächt und weniger präzise und damit weniger ansprechend eingesetzt als gewohnt. Dies ist insbesondere in den Soli und Gruppenszenen im ersten Teil des Stücks deutlich, die an das aus Revuebühnen bekannte "Ballett Light" erinnern. Der Tanz dient in erster Linie der Darstellung der Geschichte, anders als im modernen Tanztheater, wo die Story lediglich einen Rahmen für die Verwirklichung choreographischer Ideen bildet. Die Ankündigung "modernes Balletts mit Folklore-Elementen" war daher ein wenig irreführend, der Begriff "modern" ist im Tanzbereich vollkommen anders besetzt. Wer wegen des Tanzes kam, fand die Choreographie zunächst fade. Erst mit der Entfaltung der Geschichte steigert sich die Intensität des Bühnengeschehens. Der Tanz setzt zunehmend auf starke Gesten, die Aktionen werden wuchtig bis gewaltig, und das auf zwei und manchmal sogar drei Bühnensegmenten ablaufende Familiendrama nimmt den Zuschauer in seinen Bann.

Tanz und Schauspiel

Die Übergänge zum Schauspiel sind gut gelungen. Den Darstellern wird erhebliche physische Leistung abverlangt, etwa wenn die Mutter nach der Vergewaltigung durch ihren Bruder von einem hohen Tisch auf Hände und Füße herunterfällt. Die nachfolgende Szene der Demütigung und Verzweiflung, in der sie unter den Tisch rollt und mit den Füßen gegen die Holzplatte schlägt, geht unter die Haut. Die Männer müssen viele Hebungen bewältigen, in einigen Szenen tragen sie die Tänzerinnen hoch über dem Kopf wie im Gardetanz. Es gab zwar wenige Bewegungen, die sich ins Gedächtnis prägen, eine Hebefigur fand ich jedoch erwähnenswert: Die über dem Kopf des Tänzers schräg getragene Tänzerin liegt auf dem Rücken und hält ihre Beine und Arme zu den Seiten ausgestreckt und in den Gelenken im rechten Winkel eingeknickt, wie ein Insekt auf der Präpariernadel schwebt sie durch den Raum.

Obwohl die Choreographie mit neuen Ideen nicht glänzt, liefert sie im Wechsel mit dem Schauspiel hinreichende Komplexität, um nicht zu langweilen. Die Dramaturgie ist durchdacht, die Fokussierung auf die gruselige Geschichte begründet den stellenweise hochtrabenden Ausdruck. Die Tanzleistung ist im Rahmen der Choreographie überzeugend wenn auch nicht überwältigend, nur Eva Šeneková als Juliána fällt aus dem Rahmen und liefert eine technisch wie im Ausdruck außergewöhnliche Performance.

Die in einem Dorf in Südmähren (Moravské Slovácko) angesiedelte Story haben Zuzana Lapčíková und Hana Litterová aus mehreren Volksballaden zusammengestellt. Mit einem Geflecht aus Eifersucht, Inzest und Mord übertrifft sie das in mährischen Folkloren übliche Maß an Familiengewalt. Der Inzest stammt übrigens nicht aus einer Volksballade, sondern wurde von Zuzana Lapčíková erfunden, als sie nach einem Motiv für den Brudermord suchte.

Die Geschichte

Am Abend der Hochzeit von Kateřina bereitet ihre Mutter Juliána vergifteten Kaffee für den Bräutigam Jan, weil er kurz zuvor mit einer Geliebten verkehrte und dann im Alkoholrausch versuchte, die Mutter zu vergewaltigen. Mit Gift hat Juliána Erfahrung, denn auf diese Weise hat sie vor vielen Jahren ihren Bruder umgebracht, nachdem er sie vergewaltigte (in der inzestuösen Verbindung wurde Kateřina gezeugt). Der tödliche Plan misslingt tragisch und die Tasse wird von Kateřina ausgetrunken, die dabei war, sich mit Jan zu versöhnen und der Geschichte doch eine positive Richtung zu geben. Sie fällt sofort zum Boden, anscheinend verwendete die Mutter Zyankali statt des beliebten Arsenoxids. Die Tasse zersplittert, Kateřina liegt bewegungslos auf dem Boden, die Musik verstummt. Das Stück endet mit einem von weiblicher Stimme wiederholten, immer leiser werdenden Satz: "Der Gott wollte es anders, der Gott wollte es anders". (Im Original: "Pán Bůh to preměnil".)

Das Stück nutzt die ganze Tiefe der Bühne im Theater Reduta, die in drei Bereiche aufgeteilt wird. Im an das Publikum angrenzenden Bereich wird die Hauptgeschichte getanzt und gespielt, im ersten Teil des Stücks sitzen hier auch die Musiker. In dem mittleren Teil weichen Tänzer und Schauspieler in Nebenrollen aus. Im hinteren Teil der Bühne, der durch zwei hängende Fenster abgetrennt ist, spielen sich Hintergrundgeschichten ab. Hier wird der Beischlaf des betrunkenen Jan mit seiner Verliebten Kateřina vollzogen, bei dem Juliána seine Untreue entdeckt. Im zweiten Teil des Stücks ziehen sich hierher die Musiker zurück.

Die Bühne

Die Bühne wirkt sehr plastisch. Die gemeinsame Nutzung des Raumes durch Musiker und Tänzer trägt zur Aufweichung formeller Barrieren bei und bringt die Zuschauer näher an das Geschehen. Nur eine Nebelmaschine stört, die im ersten Teil des Stücks ununterbrochen einen schwachen Nebelschwaden auf die Bühne pustet. Der Nebel passt weder zur Hochzeitsgeschichte noch zu der Musik und der Choreographie, ein Zweck für den Kunstnebel ist beim besten Willen nicht erkennbar.

Das Tanztheaterstück "Balady" wurde sofort nach seiner Erstaufführung im November 2006 zum Erfolg. Die Zuschauer würdigten es als eine der besten drei Aufführungen des Jahres, die Choreographin wurde mit einem Preis der Theaterzeitschrift "Divadelni Noviny" in der Kategorie Tanz und Ballett ausgezeichnet. Die Tänzerin in der Hauptrolle Eva Šeneklová erhielt den Philip Morris Flower Award und wurde außerdem für den Thalia-Preis nominiert. Zuzana Lapčíková wurde für die Musik zu Balady für den Alfréd Radok Preis nominiert.

Resonanz

Petr Karlovsky