Modern Dance Reviews

Julia Nesterova: Unter den Brücken zum Tee

Projekttheater Dresden, Januar 2007

Die Choreographin und Tänzerin Julia Nesterova lies sich ihrem Bekunden nach zu diesem als "Collage aus Tanz, Theater und Pantomime" angekündigten Stück von einer Novelle von Franz Kafka inspirieren. Kennzeichnend für diese typische zeitgenössische Performance ist der körperliche Einsatz der Performer in realen statt gespielten Aktionen und eine Bestrebung um die Auflösung der Grenzen der Bühne in Zeit und Raum.

Julia Nesterova

Drei Motive, die in unterschiedlichen Funktionen erscheinen, werden zu den Leitfäden des Stücks: das Teetrinken, zwei Gemüsearten und Spazierstöcke aus Holz. Das Erste Motiv kommt in Form einer Teetasse im Eröffnungssolo zum Einsatz und dann insbesondere in der namensgebenden Szene mit einer menschlichen Brücke (Foto oben). Das Gemüse vermittelt emotionale Botschaften: Kartoffeln untermalen Wutausbrüche und dienen der Einbeziehung des Publikums ins Geschehen (die allerdings recht naiv gestaltet wird). Eine Möhre wird nach mehreren Metamorphosen in einer Szene verspeist, die den radikalen Körpereinsatz fordert:

Julia Nesterova

Julia Nesterova Julia Nesterova Julia Nesterova Julia Nesterova Julia Nesterova

Dies gilt auch für die Beladung mit Spazierstöcken, die wegen der Hebelwirkung für die Schultern und den Nacken der Performerin recht belastend sein durften:

Julia Nesterova

Eine scheinbar (nicht wirklich) noch härtere Aktion ist ein "Wiederbelebungsversuch", bei dem die Mundhölle eines Performers mit einem Gummihandschuh malträtiert und dann mit Wasser geflutet wird, bis er in Keuchen und Husten zum Leben aufwacht. Der Mann wird auch sonst von den Frauen gedemütigt, gequält und schließlich in seiner Erbärmlichkeit ignoriert:

Julia Nesterova

Nur in einer Szene bekommt er die Oberhand und darf sich beschweren, dass er auch mal gern zur Kur fahren würde. Oder zur Therapie. Mit jedem Satz senken die Frauen ihre Köpfe tiefer.

Trotz eigenwilligen und phantasievollen Szenen und dem aufopfernden Einsatz der Performer überzeugt das Stück als Ganzes nicht. Zu viele heterogene Ideen wurden hier zusammengeschustert, die Verwendung gemeinsamer Requisiten ersetzt nicht das Konzept. Manchmal wird eine Bedeutung suggeriert, wo es anscheinend keine gibt (z.B. beim Setzen des letzten Bausteines im Puzzle aus dem Ausschnitt von Michelangelos Erschaffung Adams). Enttäuschend fand ich auch, dass eine Tänzerin und Choreografin in ihrer Performance dem Tanz so wenig Raum beimisst.

Julia Nesterova

Die (vor)letzte Szene ist aber gelungen: Mit einer Gießkanne werden die Performer geweckt und wie Pflanzen gezogen, sie setzen sich auf den Boden und plaudern miteinander. Die Performance ist vorbei. Wie war ich? Wie sollte ich es besser machen? Kann man beim Tanz reden? Das Verwaschen des Abschlusses hat perfekt geklappt. Ende gut, alles gut.

Ein kleines Problem ist aber geblieben: Wie sollen die Performer die Bühne verlassen und wann sollen die Zuschauer applaudieren? Die Lösung: Die Gärtnerin mit der Gießkanne, aus dem Ring der Performer ausgeschlossen, hebt die Kanne langsam zu ihrem Hals. Nur für eine halbe Sekunde bleibt die unten festgehaltene Szene sichtbar, dann geht das Licht aus. Applaus.

Julia Nesterova

Text und Fotos: Petr Karlovsky