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Tanzduo Trava: No time for Wasa, Trashfox and Hangedman
Berlin, 05.07.2005

Geige aus Knäckebrot und dreibeinige Lady

Tanzduo Trava

Das Tanzduo Trava wurde 1998 von Anna Jankowska (Polen) und Heini Nukari (Finnland) gegründet. In diesem Sommer haben sie in den Sophiensaelen in Berlin drei Choreografien gezeigt: Viermal ein neues Stück mit dem Titel "Hella Helle" und am fünften Abend zwei ältere Choreografien.

"No time for Wasa" aus dem Jahr 2001 besteht aus kurzen Szenen, in denen zwei merkwürdige Requisiten als verbindende Elemente dienen. Das Erste ist ein schweres, unbequemes Metallbett, welches an mittelalterliche Folterinstrumente erinnert. Es wird für jede Szene an einen anderen Ort getragen, der dann mittels Beleuchtung zu einer Mini-Bühne wird. Als weitere Hilfsmittel dienen ca. 30 cm große, dünne Scheiben mit einem Loch in der Mitte. Es handelt sich vermutlich um eine bei uns unbekannte Knäckebrotart.

Die zwei Tänzerinnen treten in Lederhosen und grünen Rollkragenpullis auf. Das Stück beginnt mit anhaltend langsamen Bewegungen. Sie halten mit ihrem rechten Fuß jeweils eine am Boden liegende Metallkugel fest und rühren sich nicht von der Stelle, nur die Kugeln werden behutsam hin und her gerollt. Es baut sich eine Spannung auf, die jedoch nicht aufgelöst wird: Es war nur der erste Schritt einer Steigerung von Kraft und Geschwindigkeit, in der das zentrale Prinzip der Choreografie liegt.

Tanzduo Trava In den folgenden Szenen nimmt die Intensität zu. Die Wiederholung von Bewegungsabläufen erinnert an schwere manuelle Arbeit. Mit Hilfe von Knäckebrotscheiben und Metallspiralen wird ein Florettkampf parodiert, wonach die Darstellerinnen in Heldenposen erstarren und das Machogehabe karikieren. In ihrer weiteren Rolle stellen sie ein Geigenduo dar, welches durch immer wilderes Spiel ihre Knäckebrot-Geigen völlig zerstört. Den komödialisch-unterhaltsamen Darbietungen folgen abstrakte Szenen mit ritualisierten Kraftaktionen, zum Beispiel wird immer lauter auf das Bett gesprungen und geschlagen. Die Klangbegleitung entwickelt sich entsprechend: Die ersten Szenen kommen ohne Musik aus, danach werden technoartige, von den Tänzerinnen selbst aufgenommene A-cappella-Loops gespielt und in der Schlussszene schreien die Tänzerinnen mit voller Kraft unverständliche Mantras.

Es geht hier neben Rollenspiel, Komik und Rituale auch um Überraschungen. Außer der Dynamik und Requisiten gibt es daher nur wenige direkte Verbindungen zwischen den einzelnen Szenen. Die Deutlichste betrifft zwei auf dem Metallbett getanzte Geschichten, in denen mythologische Symbolik erkennbar ist und möglicherweise der King Wasa aus dem Titel des Stücks gesucht werden kann. Die runden Riesenkekse werden nur in zwei Szenen verwendet. Es fällt mir ein, dass eine bekannte Knäckebrotmarke "Wasa" heißt, das ist aber vermutlich purer Zufall.

Tanzduo Trava Das Stück "Trashfox and Hangedman" wurde bereits im Gründungsjahr der Kompanie 1998 entwickelt. Es spielt im Circus-Milieu. Die ungewöhnlichen Namen gehören zwei Komödianten, die ihre Missbildungen zu Bühnenauftritten nutzen. Trashfox ist eine wunderschöne Tänzerin mit drei Beinen, ihr Partner Hangedman ist ein Zauberer ohne Beine bzw. Unterschenkel. In der Choreografie geht es um ihre Beziehung und Gefühle und um den Widerspruch zwischen der Traurigkeit ihres Lebens und der spaßigen Leichtigkeit ihrer Show.

Tanzduo Trava Das dritte Bein von Trashfox ist am linken Arm der Tänzerin befestigt, der unter ihrem breiten Rock versteckt ist. Sie tanzt mit diesem Handicap so virtuos, dass der Zuschauer stellenweise nicht mehr zu erkennen vermag, welches Bein künstlich und welches echt ist. Hangedman bewegt sich auf der Bühne mit Hilfe einer Holzkiste mit Rädern oder rollt über die Schulter auf eine Art und Weise, deren Realitätsnähe an schauderhafte Szenen aus Bergmanns "Nacht der Gaukler" erinnert. Die Beziehung zwischen Trashfox und Hangedman wird im Programmheft als Liebesstory bezeichnet, die gespielte Geschichte ist aber interessanter. Hangedman möchte Trashfox tatsächlich näher kommen, was bei ihrer betörenden Schönheit nicht verwundert. Bis auf die idyllische Anfangsszene, in der sich die Komödianten vor ihrem Auftritt beim Brettspiel entspannen, bestehen ihre Interaktionen jedoch meist aus ruppigen Annäherungsversuchen und entsprechend harschen Zurückweisungen. Wenn sich Trashfox in einer Szene mit ihrem Rücken an Hangedman zärtlich anlehnt, ist es eher ein Zeichen des Mitgefühls, und eine gegenseitige Umarmung kann auch als Verbundenheit im gemeinsamen Schicksal gedeutet werden.

Tanzduo Trava Die Tragik der Beziehung wird erst in der Schlussszene deutlich. Die Komödianten haben ihren Auftritt beendet und aus den Lautsprechern wird Applaus gespielt. Sie bedanken sich und scheinen für einen kurzen Moment glücklich, der Erfolg und das Publikum verdrängen ihre Einsamkeit. Dann wandelt sich der Applaus zum Geräusch von fallendem Wasser, das Publikum war nur eine Illusion. Hangedman greift zu einer Axt, die vorher in einer typischen Circus-Szene bedrohlich über seinem Kopf taumelte, und drückt die Klinge gegen sein Gesicht mit krampfhaft geöffnetem Mund. Blanker Schmerz wird enthüllt, der Schmerz von unerträglichem Leben und unerfüllbarer Sehnsucht. Trashfox sitzt auf der Bühne neben Hangedman und schaut zu, sie greift nicht ein, nimmt ihn nicht in die Arme. Die Szene ist so stark, dass es eine Frau in der ersten Reihe nicht mehr aushält und den Saal hastig verlässt, nicht mal zwei Minuten bevor das Stück endet.

Die Tanzpassagen von Trashfox mit ihren drei Beinen sind fabelhaft, Hangedmans Rolle ist gemäß seiner Behinderung eher auf das Schauspiel fokussiert. Anna Jankowska und Heini Nukari haben in "Trashfox and Hangedman" einen neuen, technisch anspruchsvollen Ansatz mit ästhetisch und emotional ansprechender Darstellung verbunden und ein Meisterstück des Tanztheaters produziert.

Tanzduo Trava

Autor: Petr Karlovsky